Hymnos Akathistos

Teil 1


In der langen Tradition der Marienverehrung ragt ein marianisches Meisterwerk der byzantinischen Liturgie hervor, welches den Titel "Hymnos Akathistos" trägt. Sein poetischer und inhaltlicher Aufbau ist vom Geheimnis der Gottesmutterschaft Mariens inspiriert. Diese Andacht wurde in griechischer Sprache komponiert und ihr Titel "akathistos" wünscht, dass sie stehend gebetet wird. Durch die Jahrhunderte wurde sie auch in andere Sprachen übersetzt und findet inzwischen ihre Verwendung nicht nur in der Liturgie des christlichen Ostens, sondern bei bestimmten Anlässen auch in der katholischen Kirche. In der byzantinischen Liturgie hat dieser Hymnos sogar einen fixen Platz erhalten, und zwar am fünften Samstag in der Fastenzeit, der als "Akathistos-Samstag" begangen wird. Wer sich mit der Geschichte und dem Inhalt dieses Werkes intensiver auseinandergesetzt hat, erkennt in ihm eine ausgereifte Form der Marienverehrung, die sowohl mit ihrem theologischen und dogmatischen Inhalt als auch mit ihrer rhythmischen und symbolischen Struktur bis in unsere Tage kaum übertroffen werden konnte.

Die Frage nach dem Autor ist bis heute unbeantwortet. Als möglicher Verfasser dieses Hymnos wird der aus Syrien stammende Hymnograph Romanos Melodos (+ um 560) genannt. Der in diesem Hymnos stark ausgeprägte christozentrische Akzent lässt aber vermuten, dass die Entstehung schon viel früher erfolgt sein muss, nämlich kurz nach dem Konzil von Chalcedon (451), welches das Dogma über die Person Jesu Christi und seine göttliche und menschliche Natur definiert hat. Die äußere Architektur des Akathistos besteht aus einer reichen Zahlensymbolik, die auf eine untrennbare Einheit der einzelnen Teile dieses Hymnos hindeutet. Konkret wird der Akathistos aus 24 sogenannten Stanzen (Strophen) gebildet. Diese Stanzen haben die Eigenart, dass deren Anfangsbuchstaben die Reihenfolge des griechischen Alphabets respektieren, welches eben aus 24 Buchstaben besteht. Diese Zahl symbolisiert hier also die Einheit. Inhaltlich teilt sich der Akathistos in zwei thematische Blöcke: Der erste Block (Stanzen 1-12) ist geschichtlich-erzählerischer Natur und der zweite (Stanzen 13-24) theologisch-dogmatischer Natur. Eine weitere zweiförmige Unterscheidung ergibt sich aus der Länge der einzelnen Stanzen. Die ungeraden Stanzen sind eineinhalb Mal länger als die geraden und enden jeweils mit dem Ruf: "Gegrüßt, du unversehrte Mutter". Die geraden Stanzen schließen dagegen mit dem "Halleluja" ab. Darüber hinaus bilden auch die ungeraden und geraden Stanzen paarweise in sukzessiver Reihenfolge (1+2, 3+4, usw.) eine inhaltliche Einheit. Es gibt noch weitere Beispiele, die man hier aber nicht aufzählen muss. Diese Formen der binären Einheit sind hier bestimmt kein Zufall, sondern ein gezielter Versuch den Gläubigen bei der Akathistos-Andacht das Geheimnis der göttlichen und menschlichen Natur, die auf unvermischte und untrennbare Weise in Christus verbunden sind, näher zu bringen.

Mit den inhaltlichen Ausführungen wird der betende Mensch allmählich in das Geheimnis der Menschwerdung Christi eingeführt. Auf eine bildhafte Art und Weise schildert der Autor des Akathistos die Begegnung Mariens mit dem Himmelsboten. Strophe für Strophe wird gezeigt, wie die durch Maria angenommene Frohbotschaft Kreise zieht: Im Haus des Zacharias bei der Begegnung mit Elisabeth; in der Offenbarung des Geheimnisses an den zweifelnden Josef; bei den staunenden Hirten von Betlehem und den Weisen von Orient, die dann selbst zu Verkündern der Frohbotschaft unter den Völkern werden; in der erfüllten Sehnsucht des Greisen Simeon, der die Frucht der Verheißung in seinen Armen tragen darf. Danach leitet der Verfasser die Betrachtungsperspektive des Geheimnisses in hier und jetzt über. Alle, die sich dieser Botschaft öffnen, bilden eine neue Schöpfung und werden zu Bekennern des menschgewordenen Wortes. In kurzen aber ausgeprägten Sätzen wird die bleibende Jungfräulichkeit Mariens thematisiert, indem auch darauf hingewiesen wird, dass nicht alle bereit oder im Stande sind, dieses Geheimnis anzuerkennen. Ähnlich ist hier auch der Glaube an die Gottesmutterschaft Mariens und ihre fürbittende Präsenz mitten im Gottesvolk ausgedrückt. Die Ankunft des Erlösers in diese Welt durch die heilige Jungfrau ist auch der Grund des Lobes und Dankes, die in diesem Hymnos Gott und der Gottesmutter entgegen gebracht werden.

fr. Fero M. Bachorík OSM