Marienandachten

Benedicta tu (die ältere Form)

 

Beato fra Angelico: Maria Verkündigung, Detail auf dem "Silberschrein", ehem. im Besitz der Ssma Annunziata in Florenz
Du bist gebenedeit unter den Frauen...“ Mit diesen Worten begrüßte einst Elisabeth die Mutter Jesu, als diese zu ihr zu Besuch kam (vgl. Lk 1,42). Mit den gleichen Worten beginnt auch eine alte Marienandacht, die den lateinischen Namen „Benedicta tu“ – du bist gesegnet – trägt. Die Entstehung dieser Andacht fällt wahrscheinlich in das XII. Jahrhundert hinein – in eine Zeit, in der ein starker Geist der Marienverehrung genährt und verbreitet wurde. Man spricht von einer Bewegung der Marienverehrung, deren Zentren zuerst die Klöster der Mönche waren, später dann die Gebetsbruderschaften und die Bettelorden. Das christliche Volk zeigte immer stärker das Bedürfnis, sich in seinen Anliegen und Nöten an die Mutter des Herrn zu wenden. Es wurden hierfür marianische Gebete und Andachten verbreitet, wie z.B. die ersten Formen des Gebetes „Gegrüßet seist du, Maria“. In diesem Zusammenhang sah das Konzil von Paris im Jahre 1197 die Aufgabe der Priester auch darin, das Volk ständig zu ermuntern, den Mariengruß zu sprechen.

Die Andacht „Benedicta tu“ scheint dagegen für einen engeren Kreis bestimmt worden zu sein, wie etwa für die Gebetsbruderschaften und die Ordensgemeinschaften. Sie ist auch als „Vigil unserer Herrin“ bekannt, nämlich als Vorbereitungsgebet auf den Samstag, der seit dem X. Jahrhundert der Mutter des Herrn geweiht ist. Da der Servitenorden seine Wurzeln in einer marianischen Gebetsbruderschaft in Florenz hat, wo solche Andachten in verschiedenen Formen im häufigen Gebrauch waren, pflegt er heute noch den Brauch, das „Benedicta tu“ am Samstag zu beten, wie es übrigens auch in manch anderer Ordensfamilie der Fall ist. Einer Überlieferung aus dem XVI. Jahrhundert zufolge soll der hl. Philippus Benitius (1233-1285), unter dessen Generalat wichtige Schritte für die endgültige Bestätigung des Servitenordens eingeleitet wurden, veranlasst haben, dass in den Gemeinschaften die „Vigil unserer Herrin“ für diese endgültige Bestätigung gebetet werde. Nachdem der Orden im Jahre 1304 seine Bestätigung erhielt, wollten die Serviten dieser Andacht aus Dankbarkeit für die erwiesene Gnade auch weiterhin treu bleiben.

Wie ist nun diese Andacht aufgebaut? Sie besteht aus drei Psalmen mit eigenen Antiphonen und drei Lesungen. Die ersten zwei Lesungen haben eigene Antwortverse. Nach der dritten Lesung folgt dann das Salve Regina, eventuell mit anschließendem Gebet. Bei den Psalmen handelt es sich um jene, die schon im frühen Christentum in den römischen Basiliken anlässlich der Geburt Christi aus Maria, der Jungfrau, in der Nacht zum 24. Dezember gesungen wurden. Sie erzählen in Metaphern nicht nur von der Herrlichkeit Gottes, sondern auch vom Menschen und von der Schöpfung, die an dieser Herrlichkeit Anteil haben: Im Psalm 8 werden der Name des Herrn und seine erhabene Größe besungen, samt der Würde, die er dem Menschen verliehen hat; der Psalm 19 betrachtet im ersten Teil die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung und sein Gesetz, das den Menschen erleuchtet; der Psalm 24 feiert den Herrn als König der Herrlichkeit, der in seinen Tempel einzieht, zu dem auch die Gerechten hintreten können. Die darauf folgenden Lesungen haben den Charakter eines Gebetes, welches an die Jungfrau Maria gerichtet wird. Die erste Lesung wendet sich an die heilige Maria als Jungfrau aller Jungfrauen, als Mutter und Tochter des Königs der Könige, damit sie uns in den Lebensprüfungen beistehe. Als Frucht ihrer Fürsprache erhofft sich die Gebetsgemeinschaft den ewigen Lohn des Herrn. Im anschließenden Antwortvers wird die Verlegenheit der Frommen zum Ausdruck gebracht, die zwar ein Lob an die Jungfrau singen möchten, aber im Angesicht ihrer Erhabenheit nur staunen können. In der zweiten Lesung wird Maria, die liebevolle Mutter, gebeten, die Bitten vor ihren Sohn zu tragen, damit unsere Sünden durch seine Gnade gelöscht werden. Der zweite Antwortpsalm grüßt die Begnadete, die den Schöpfer gebar und dennoch Jungfrau blieb. Die dritte Lesung öffnet den Blick in die Ewigkeit, auf die ersehnte Wohnstätte des Lichts, wo die Gottesmutter bereits mit ihrem Sohne thront. An sie wenden sich die Gläubigen, damit sie ihnen die Vergebung der Sünden erlange und sie in die ewige Heimat geleite. Die Andacht schließt mit dem Salve Regina ab, welches noch einmal die Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit bei der Mutter der Barmherzigkeit zum Ausdruck bringt.

fr. Fero M. Bachorík OSM