Mariendogmen

Maria - Theotokos, Gottesmutter

 

Die Muttergottes und die hl. Sieben Väter; Ikone von A. D'Aloisio
"Wie viel Menschen, so viel Meinungen“ sagt ein Sprichwort. Die Meinungsfreiheit gehört zu den Grundrechten des Menschen. Jedoch die Lebenserfahrung lehrt uns, dass nicht jede Meinung die Wahrheit trifft. Deshalb ist die Meinung eher als Ansatz für einen Denkprozess bzw. als ein Beitrag dazu zu sehen. Die katholische Kirche musste sich um des Glaubens willen von Anfang an solchen Denkprozessen stellen, denn vor allem in den Glaubensfragen gab es - und gibt es immer noch - unzählige Meinungen. Als Frucht dieser Denkprozesse und heftiger Auseinandersetzungen mit vielen Meinungen entstanden in ihrer Zeit die sogenannten Dogmen, d. h. die Definitionen der wichtigsten Glaubensinhalte. Vier davon nehmen Bezug auf Maria, die Mutter Jesu, und werden „Mariendogmen“ genannt.

Das erste Dogma lehrt, dass Maria „Gottesmutter“ ist. Obwohl hier von Maria die Rede ist, bezieht sich dieses Dogma in erster Linie auf Christus, es beantwortet nämlich die Grundfrage, die diesem ersten Dogma vorausging: „Wer ist Christus?“ Aus dieser Frage nach Christus ergab sich die Frage nach Maria. Es musste nämlich klargestellt werden, wen Maria eigentlich geboren hat. Die Frage, die Jesus einmal seinen Jüngern stellte: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ (Mt 16,13), stellten sich auch später immer wieder viele andere. Und die vielen Antworten brachten wiederum eine Vielfalt von Meinungen zu Tage: So war Jesus beispielsweise für die einen kein Gott, sondern bloß ein guter und gerechter Mensch, der von Gott „adoptiert“ wurde. Für die anderen war Christus nur ein „Scheinmensch“, dafür aber eindeutig Gott. Wieder für andere war er nur eine „Art“ Gotteserscheinung unter den Menschen.

Auf diesem Hintergrund erwies es sich für die Bewahrung des rechten Glaubens für notwendig, diese Meinungen jeweils auszudiskutieren, abzuklären und ein endgültiges Wort zu sprechen. Und dies geschah in den ersten Jahrhunderten bei den Kirchenkonzilen (325 n.Chr. in Nizäa, 381 n.Chr. in Konstantinopel), deren Frucht der Text unseres Glaubensbekenntnisses ist. Trotz der Klarstellung von vielen Glaubensstreitfragen blieben immerhin zwei Meinungsströmungen, aus denen sich tendenzgemäß zwei Schulen entwickelt haben.

Die eine Schule mit Zentrum in Antiochien, deshalb „antiochenische“ genannt, vertrat durch ihren Mönchsprediger Nestorius die Meinung, dass Christus ein bloßer Träger des göttlichen Wortes sei, das in Maria in das menschliche Fleisch eingewickelt und aus ihr so geboren worden wäre; somit habe Maria keinen Gott, sondern einen Menschen, nämlich Christus, geboren; in diesem Sinne könnte Maria „Christigebärerin“, aber auf keinen Fall „Gottesgebärerin“ genannt werden.

Die andere Schule mit Zentrum in Alexanderien, deshalb „alexandrinische“ genannt, betonte durch ihren Vertreter und Bischof Cyrill von Alexandrien die reale Einheit der menschlichen und göttlichen Natur in der einen Person Christi; somit wäre Christus sowohl Gott als auch Mensch und infolge dessen stünde Maria der Titel „Gottesgebärerin“ oder „Gottesmutter“ völlig zu.

Welche von diesen beiden Schulen die Sachen nun richtig sah, musste zuerst genau studiert, erwogen und entschieden werden. Dabei war der Gebrauch von philosophischen Begriffen unverzichtbar. Beim Konzil von Ephesus im Jahre 431 n.Chr. haben 153 Bischöfe die Lehre der alexandrinischen Schule anerkannt, sie als die offizielle Lehre der Kirche angenommen und Nestorius zum Irrlehrer erklärt. Dass die Konzilsväter die Jungfrau Maria gleichzeitig zur „Gottesmutter“ erklärt haben, bedeutet nichts anderes als die Bekräftigung dessen, was der Evangelist Johannes schreibt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14).

Genau dieser Punkt macht den christlichen, und noch präziser den christlich-katholischen Glauben aus im Unterschied zu den anderen, die es nicht zulassen können, dass Gott wirklich Mensch wird, ohne aufzuhören Gott zu sein. Da Gott aber seine Natur mit unserer menschlichen Natur in Christus vereinen wollte, heißt es, dass er sich zum Menschen bekennt, sich an seinem Leben aktiv beteiligt und ihm gleichzeitig seine schöpferische, heilende und rettende Kraft verleiht. Dieses Bewusstsein soll durch das marianische Dogma in uns geweckt werden. Und indem wir die Gottesmutter betrachten, können wir uns durch ihr Beispiel zur noch aktiveren Mitwirkung mit der uns verliehenen Gnade Gottes bewegen lassen, denn das ist letzten Endes auch der Zweck unseres Glaubens.

fr.Fero M. Bachorík OSM