Mariendogmen

Maria - die Jungfrau

 

Die Jungfrau Maria, El Greco (Madrid)
Nachdem die Konzilsväter in Ephesus (431 n.Chr.) die Lehre über die Gottesmutterschaft Mariens als einen der wichtigsten Glaubensartikel bestätigt hatten, erwies es sich als notwendig, eine weitere Problematik im Bezug auf die Mutter Christi zu behandeln. Schon aus den ältesten Schriften des Christentums ging hervor, dass Maria gleichzeitig als „Mutter“ und „Jungfrau“ angerufen und verehrt wurde. An sich wäre daran christlich gesehen nichts Problematisches gewesen, wenn sich diese Anredeform nur auf den Lebensabschnitt Mariens vor der Geburt Christi bezogen hätte, denn die Frage nach der Jungfräulichkeit Mariens bei der Empfängnis Jesu wurde bereits in den Evangelien klar beantwortet (vgl. Mt 1,20; Lk 1,34-35). Zur Diskussion stand vielmehr die Frage nach der Jungfräulichkeit Mariens in und nach der Geburt Jesu.

Aber warum hat man noch dieses Bedürfnis gehabt, über die Jungfräulichkeit Mariens zu diskutieren, wenn die entscheidende Frage, welche die Empfängnis Christi und seine Gottessohnschaft betraf, von vornherein beantwortet war? Der Grund dafür scheint in einem menschlichen Bedürfnis zu liegen. Der Mensch braucht nämlich für seinen persönlichen Reifungsprozess Lebensmuster, -beispiele und -modelle, die ihm helfen, seine eigene Identität zu entdecken und zu entfalten. Dies gilt umso mehr für das geistliche Wachstum des Menschen. Der christliche Mensch sucht nach einem Modell, wonach er seine Lebensgestaltung orientieren könnte, um Christus ähnlich zu werden. Die christliche Tradition sah ein solches Modell von Anfang an in der freiwilligen Jungfräulichkeit. Sie wurde als Zeichen der vollkommenen Hingabe an Gott verstanden und fand besonders in der monastischen Lebensform ihren Ausdruck. Dabei ließen die evangelischen Ansätze (z.B. Lk 1,38.42) Maria immer stärker als Idealgestalt dieser vollkommenen Hingabe erkennen. Den Kirchenvätern schien es daher richtig, sich für den ohnehin schon verbreiteten Glauben der Christen einzusetzen, dass Maria, nachdem sie sich dem Herrn ganz geschenkt hatte, auch in und nach der Geburt Christi Jungfrau geblieben ist.

Auf dieses Fundament der vollkommenen Hingabe baut auch die theologische Reflexion, die dann zur dogmatischen Erklärung der immerwährenden Jungfräulichkeit Mariens führt. Somit konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Kirche nicht etwa auf den biologischen oder gar den anatomischen Aspekt der Jungfräulichkeit, sondern vielmehr auf die Zeichenhaftigkeit dieses Standes, der das Geheimnis Christi in Maria im besonderen Licht erscheinen lässt. Wie Christus nämlich geheimnisvoll empfangen wurde, so wurde er auch geheimnisvoll geboren. Hieronymus, Ambrosius, Augustinus und noch weitere Kirchenväter betrachten die Jungfrauengeburt Mariens aus der österlichen Perspektive: Christus, der durch verschlossene Türen zu gehen vermag, konnte auch den Schoß Mariens ähnlicherweise verlassen. Während also die Jungfräulichkeit Mariens in der Geburt auf dem Geheimnis der Menschwerdung Christi beruht, wird jene nach der Geburt als schlichte Folge der vollkommenen Hingabe an Gott verstanden. Diese gefestigte Anschauung der Frühkirche fand im Jahre 553 n.Chr. ihren Ausdruck in der dogmatischen Erklärung beim Zweiten Konzil von Konstantinopel. Der Glaube an die „immerwährende Jungfräulichkeit“ Mariens wurde damit zum verbindlichen Glaubensartikel erhoben.

Dazu soll noch gesagt werden, dass ein Dogma den Glauben nicht „erfindet“, sondern kurz und radikal „definiert“, um eine Interpretation zu verhindern, welche die geoffenbarten Glaubensinhalte schmälern könnte. Dabei wird aber die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, solche Definitionen in die Sprache der jeweiligen Zeit zu übersetzten. Dies taten auch viele Konzile nach Konstantinopel II.

Das Zweite Vatikanische Konzil sagt zur Jungfräulichkeit Mariens, dass der erstgeborene Sohn bei der Geburt die jungfräuliche Unversehrtheit der Gottesmutter „nicht minderte, sondern heiligte“ (Lumen Gentium, Nr. 57). Dadurch wurde die Kernaussage des erwähnten Dogmas so wiedergegeben, dass man verstehen kann, dass Gott durch sein Eingreifen ins menschliche Leben die vorhandenen Gegebenheiten nicht zerstört, sondern verwandelt, veredelt und heiligt. Und die Antwort auf die Frage „Wie macht er das?“ sollte jeder Mensch selbst bestrebt sein zu entdecken, sei es mittels des Glaubens, der Wissenschaft oder der eigenen Lebenserfahrung.

fr.Fero M. Bachorík OSM