verfasst: im Februar 2010

"Unser tägliches Wasser gib uns heute!"

Der Kampf ums Wasser in Chile und Brasilien

Bischof Intfanti OSM bei der Vorstellung des Hirtenbriefes
Chile ist ein mit Wasser gesegnetes Land: Unzählige Seen und Flüsse schmücken das weite Land. Das chilenische Patagonien ist durch sein kühles, feuchtes Klima ausgezeichnet. Und dennoch müssen die Menschen in dieser Region fürchten, das viele Wasser nicht mehr frei nutzen zu können. Im Sommer 2008 hat die chilenische Regierung beschlossen, im Gebiet, das als weltweit zweitgrößtes Süßwasserreservoir gilt, fünf neue riesige Wasserkraftwerke zu bauen und den Bauauftrag an Privatfirmen zu vergeben. Die Folgen wären katastrophal, in ökologischer ebenso wie in sozialer Hinsicht.

Der Servitenbischof Luigino Infanti, seit 1999 Apostolischer Vikar von Aysén, hat einen außergewöhnlichen Hirtenbrief verfasst mit dem Titel: „Unser tägliches Wasser gib uns heute!“ Darin versucht er eine spirituell-theologische Lektüre des Problems der Privatisierung der Wasserreserven in seinem Land und zeigt die desaströsen Folgen auf. Der Hirtenbrief hat weit über Lateinamerika hinaus Aufmerksamkeit erregt. Bischof Infanti wurde sogar nach Brüssel eingeladen, um vor dem Europäischen Parlament die Problematik zu erläutern. Als zentrales Anliegen seines Hirtenbriefes führte er aus: „Wir gehen davon aus, dass es auf unserem Planeten nicht zu wenig trinkbares Wasser gibt, sondern dass es schlecht und ungerecht verteilt wird. Es geht dabei nicht nur darum, dass das Wasser zur Genüge in der Natur vorkommt; wir wissen alle, dass auch entsprechende soziale und technische Strukturen notwendig sind, damit jeder Mensch genügend sauberes und trinkbares Wasser zur Verfügung hat. Vielerorts gelten politische und ökonomische Gesetze, die nur den Einflussreichen und Reichen Nutzen bringen.“

Dann geht Bischof Infanti auf die Situation in Chile ein: „Im Jahre 1980 wurden unter der Regierung Pinochet Konstitutionen erlassen, die dem Prinzip: ‚Weniger Staat, mehr Marktwirtschaft‘ folgen. Durch diese Regelung wurden 80% der Wasservorkommen Chiles an die spanische Gesellschaft Endesa auf unbestimmte Zeit ‚verschenkt‘. Dieses Energieerzeugungs- und Energieversorgungsunternehmen mit Sitz in Madrid ist nach der Marktkapitalisierung der größte private Energieversorger in Lateinamerika. Der Staat hat seinen Einfluss auf die Gestaltung und Verwaltung der Wassernutzung eingebüßt und die Zivilgesellschaft und die Gemeinschaften spielen praktisch keine Rolle mehr. Diese unter der Diktatur verabschiedete Reform wurde von der Bevölkerung kaum wahrgenommen und führte zu einer raschen Konzentration des Eigentums an Ressourcen in den Händen von nationalen und internationalen Privatfirmen – ein System, das bis heute fortbesteht. Selbst wenn dies durch entsprechende Gesetzgebungen legal ermöglicht worden ist, ist es äußerst unmoralisch und verstößt gegen die Grundrechte der einheimischen Bevölkerung.“ Bischof Infanti weist darauf hin, dass Endesa durch die geplanten neuen Kraftwerke nicht nur der lokalen Bevölkerung die Nutzung des Wassers unterbindet, sondern dass die erzeugte Energie zur Gänze abfließen soll in die fast 3.000 km entfernten Bergbauindustrien im Norden des Landes.  „Der Norden Chiles hätte ein ungeheures Potenzial, die für die dortige Industrie benötigte Energie selbst zu produzieren, und zwar durch ökologisch vertretbare erneuerbare Energieressourcen. Es könnten die Wind- und die Sonnenenergie effektiv genutzt werden. Aber auf Kosten der armen Bevölkerung des Südens können Privatfirmen Bauprojekte realisieren, die niemandem nutzen außer diesen Privatfirmen. Diese richten dadurch immensen Schaden an, den die Menschen vor Ort erleiden, während die Gewinne samt und sonders abfließen ins Ausland, wo diese Firmen ihren Sitz haben.“

Bischof Infanti fordert, „dass die lokalen, demokratisch gewählten Politiker die Entscheidungsvollmacht über derart weitreichende Projekte und Eingriffe in das ökologische und soziale System haben müssen und nicht private Firmen. Man muss sich vorstellen, dass den Bauern zwar der Grund und Boden gehört, aber nicht das Wasser, das darauf fließt. Quellen, Seen oder Flüsse gelten als öffentliches Wirtschaftsgut, welches privatisiert wird.“ Im Hirtenbrief kritisiert Bischof Infanti ganz grundsätzlich eine rein anthropozentrische Sicht der Schöpfung, die den Wert der Schöpfung und der Natur nur an ihrem Nutzen für die Menschen misst: „Diese Sicht der Schöpfung erkennt den Eigenwert und die Schönheit der Schöpfung nicht an. Leider ist sie auch in der Kirche vorherrschend. Vielfach dient sie aber jenem kapitalistischen Verhalten, das Raubbau an der Natur betreibt, weil man die rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen gerechtfertigt sieht.“  Bischof Infanti wendet sich aber auch gegen eine rein kosmologische Sicht der Natur, wonach zum Überleben der Natur die Anzahl der Menschen verringert werden müsste, da der Mensch aufgrund seiner zu hohen Populationen das natürliche Gleichgewicht der Erde zerstört hätte. „Wir müssen wieder zurückfinden zu einer ökozentrischen Sicht der Schöpfung“, so Bischof Infanti“, „in der der Mensch Teil der Schöpfung ist, in sie eingebunden und für sie verantwortlich, immer nach dem Maß der Reichweite seines Handelns. Wir glauben an die enge Verbundenheit des Menschen mit seiner Umwelt. Wir glauben, dass der Mensch berufen ist, als Geschöpf die Vollkommenheit in Gott zu finden. Dazu ist es aber notwendig, dass der Mensch sich so entfalten kann, wie er ist, eben als Geschöpf: Teil der Schöpfung und abhängig von der Schöpfung. Als Teil der Schöpfung ist er für sie verantwortlich, für seine Erhaltung, für seine Pflege; als von der Schöpfung abhängiger hat der Mensch das Recht, die Natur gebrauchen zu können. Dazu gehört der Zugang zu den Ressourcen der Natur, zum Wasser und zu Nahrungsmitteln. Das ist eine eminent soziale und theologisch-ethische Frage.“ Angesicht der geplanten gigantischen Wasserkraftwerke fordert Bischof Infanti die soziale und ökologische Verträglichkeit dieser Projekte und mahnt das Recht auf Wasser als ein vitales Gut ein.

Bischof Kräutler mit Menschen am Fluss Xingú
Wie dringlich das Problem ist, zeigen auch die jüngsten Entwicklungen in Brasilien. In der Nähe von Altamira ist eines der größten Wasserkraftwerke der Welt geplant, der „Belo-Monte-Staudamm“. Riesige Flächen Regenwald würden zerstört, viele Menschen müssten umgesiedelt werden und die Indianer würden bedroht. Es ist unbestritten, dass mit diesem Staudamm gravierende ökologische und soziale Konsequenzen verbunden sind. Regenwald und die Häuser von rund 15.000 Menschen würden überflutet. Auf 140 Kilometern Länge würde der Rio Xingú zu stehenden Lachen verkümmern, Fische würden verschwinden und die Tümpel zu Brutstätten für Mücken werden, die Krankheiten wie Malaria verbreiten. Der gebürtige Österreicher Erwin Kräutler, Bischof der Menschen am Rio Xingú, hat sich gegen dieses Projekt gewendet und wurde daraufhin vom Vertreter der österreichischen Handelskammer in Brasilien beschimpft als „streitbarer eingebürgerter Brasilianer mit Vorarlberger Wurzeln. Kein Tag vergeht, wo der in Österreich bekannte und auch staatlich geehrte Talarträger nicht gegen dieses und andere Industrieprojekte wettert und Indianern hilft, sich fernsehgerecht in Lendenschurz gekleidet und mit Kriegsbemalung bei Protestaktionen in Szene zu setzen”.

Diese Aussagen machen deutlich, wie sehr uns Europäer die Ereignisse in Südamerika betreffen, denn diese Aussagen machen deutlich, dass es im Interesse von europäischen Firmen liegt, wenn Menschen in Lateinamerika ihres Lebensraumes und – wie z.B. in Chile – ihres Rechtes auf Wasser beraubt werden. Einmal mehr erweist sich, dass sich der Wohlstand der sogenannten „Ersten Welt“ zu Lasten der Armen in der sogenannten „Dritten Welt“ geht.

fr. Martin M. Lintner